Schöpferische Begabung und Schönheit
Werde ich gebeten meine Gedanken über die strenge Arbeit der Bildhauer auszusprechen, so denke ich immer daran, welche und wieviel ungewöhnliche Empfindungen ihnen beim Bearbeiten des Holzes, des Marmors und beim Modellieren mit Ton teilhaftig werden. Man stelle sich die innere Spannung vor, mit der der Bildhauer sein Werk zwischen Enthusiasmus und Ungeduld langsam in den gewünschten Formen entstehen und wachsen sieht – „dank der Kraft des Wegnehmens“ gemäβ eines Ausdrucks Michelangelos und des Vasari. Leonardo Lustig hat mich oft an eine solche andauernde Gefühlsspannung der Bewunderung teilnehmen lassen – und so hat sich auch bei dieser neuen Gelegenheit mein erstes Erstaunen vor den Skulpturen im Garten des Studio der Villa Bozano-Gandolfi nicht vermindert. Ungestört stehen diese in der dynamischen Zeit der von Lustig ohne Zwang angenommenen Modernität, wobei er gleichzeitig die vorbildliche klassische Tradition hervorhob. „Die Modernität als Pflicht läβt dem künstlerischen Schaffen keinen Raum und verstellt viele Wege“ ermahnte mit klugem Hinweis Arturo Martini. Dabei ist es nur zu offensichtlich, dass Lustig neben einer auβergewöhnlichen Handwerklichkeit eine sofort erkennbare Eigenheit besitzt, mit der er die natürlichen Formen von einem leichten arcaischen, doch bemerkbaren Einschlag berührt, vorzieht. Das alles bezeichnet den prachtvollen Pescatore (Fischer) in Bronze, der vorgesehen ist, die herrliche Bucht von Portofino noch weiter zu verschönern. Diese einzigartige Skulptur, geschaffen durch einen wirklich erstaunlichen Prozeβ, kehrt zugleich Kraft und Leichtigkeit hervor, strukturelle Festigkeit und Strenge der Komposition; sie lenkt unseren Sinn auf die komplizierte Prozedur der Ausführung, aber auch auf die unermesslichen Erscheinungen der Schönheit, die in den athletischen Figuren der griechischen Bildhauerkunst durch die berühmten Meister der klassischen Zeit so folgenreich zum Mythos wurde. In dieser Hinsicht ist es bekannt, daβ der Körper bestimmt ist die Tugenden des Menschen zum Ausdruck zu bringen und ganz besonders seine moralische Höhe. Dank dieser kritischen Ausarbeitung erinnere ich mich immer mit Vergnügen an eine brillante Betrachtung des erfahrenen Bildhauers Fabrizio Mismas von La Spezia. Der Künstler erklärte: „Nach so vielen Jahren hat sich bei dem unergründlichen irrationalen Akt nichts geändert. Die ersten Vorsätze werden schnell übersprungen. Die Materie befiehlt! Sie ist es, die dich lenkt, die dir die Änderungen diktiert – die sich erst als Goldader verstellt: erst versteckt sie sich, dann läβt sie sich maliziös begehren, langsam auffinden, und wenn sie sich schlieβlich zu erkennen gibt, kompromittiert sie dich, zwingt dich, ihre Richtung zu verfolgen, und so befindest du dich, wo du nicht wolltest, dort, wo sie beschlossen hatte, dich hinzuführen. Und beinah immer hat sie recht! Denn sich von ihr leiten zu lassen, hat ein Produkt mit einem winzigen Ansatz von Flügeln erzeugt, wogegen deine ursprüngliche Idee die Fϋβe korrekt auf der Erde hatte. Und nun verstehst du, dass jenseits aller programmatischen Luftschlösser mit komplizierten inhaltsvollen Ausklügelungen die Bildhauerkunst nichts anderes ist, als ein Reden von ihr mit plastischen, so persönlichen als nur möglichen Worten, nichts anderes als die unendlichen Intimitäten der Madame Bildhauerkunst durchs Schlüsselloch zu fotografieren.“ Ich glaube, auch der Entstehung des Pescatore (Fischer) sei ein intimes Gespräch zwischen dem Bildhauer und der Materie – das für Mario de Micheli ein notwendiger Antrieb des plastischen Prozesses ist zugute gekommen, um sich der Nacktheit einer perfekten Figur anzunähern, so konkret als sie durch den undiskutierbaren Zauber, den sie ausstrahlt, eine göttliche Dimension berührt. Sie ist eine Nacktheit gewollt ohne Eros, die Männlichkeit, aber keine Heldenhaftigkeit, hervorruft, sie zieht an, ohne unbedingt zu reizen; wie in anderen bewundernswerten Figuren ist sie -voll Körperlichkeit. Lustig zeigt hier wieder seinen bekannten Stil, und so erprobt er sich, ohne banale Anzeichen an Ausschnitten der menschlichen Existenz, die jedesmal aus verschiedenen künstlerischen Zuständen hervorgegangen sind. Der formal einwandfreie Pescatore (Fischer) in seiner ohne falsche Scham herausgestellten Nacktheit läβt den Beobachter eine seltene Natürlichkeit erkennen, die gleichzeitig den Einsatz des Menschen bei der täglichen Arbeit charakterisiert. Die Handlung, mit der er das Netz zurückzieht, ist keineswegs eilig, und doch scheinen den jungen Fischer, der sich seiner Arbeit mit bemerkbarer Ruhe und Entspannung hingibt, Gedanken zu beschäftigen. Er macht eine gewohnte Bewegung, die weder Schnelligkeit, noch Überanstrengung erfordert. Sein Blick ist auf das Netz gerichtet, das beinah als eine Fortsetzung seines hochpolierten Körpers, ohne verschärfte Muskeln, angebracht ist! Ein ernstes, bartloses Gesicht mit dichtem, lockigem Haar. Die Auffassung, die Lustig vom Fischer gibt, indem er eine reale Situation sehr ähnlich darstellt, bewusst mit psychologischen Merkmalen bereichert, bestätigt die Ausdrucksfreiheit des Bildhauers, der sich nicht scheut, klassische Situationen zurückzurufen, die unserer modernen Zeit noch viele Anregungen geben können. Lustig, wie andere hervorragende Künstler, ist fähig, der Materie Leben einzuflöβen, als Synthese von Wahrheit und Schönheit – auch geistige; sie vibrieren zu lassen, zu erheben durch das Sondieren von Licht und Schatten, jede Starrheit und Unebenheit aufhebend. Wobei er sich ungewöhnlicher technischer Feinheiten bedient – Ergebnisse einer geduldsamen Arbeit, immer mit erneutem Feuer und Leidenschaft angegriffen; die keine Unterbrechung kennt und nun eine wesentlich einheitliche Kunstidee begünstigt hat. Von dem Ort aus, an den der Pescatore (Fischer) gestellt ist, wird er Aufmerksamkeit und interessierte Blicke hervorrufen, auch unerwartete Gespräche. Er wird sich als ein besonderes Stück städtischer Ausschmückung zeigen, als künstlerisches Zeugnis ausdrucksvoll ästhetischer Werte und als existenzielle Erfahrung menschlicher Arbeit. So verkündigt er eine Botschaft zur Liebe der Natur und des Meeres, das ihn mit seinen Wellen liebevoll umgibt.
Jahr 2013
Valerio P. Cremolini