Die Synthese zwischen Klassizität und Modernität
Betritt man den Garten der Villa Bozano Gandolfi, der eigenartige und geräumige Ausstellungsort der aufallend schönen Skulpturen von Leonardo Lustig, ergreift einen sofort ein angenehmes Erstaunen. Sie alle erscheinen gewachsen in diesem Gartenraum, so fühlbar ist ihre Einheit mit den Bäumen und Büschen, die ihn schmücken. Der Blick schweift nach allen Richtungen und befriedigt sich an dem starken Ausdruck der verschiedenen Werke in Marmor, in Stein, in Zement und Bronze, die sich hier darstellen. Sie enthalten den Enthusiasmus für die unvergängliche Bildhauererfahrung der griechischen und römischen Kultur, wie auch Spuren etruskischer Sensibilität und durchdachte Verbindungen mit den hervorragenden Erzeugnissen der modernen Zeit ( Rodin, Rosso, Martini, Messina, Bodini u.a. ). Es zeigt sich auch der beträchtliche Einfluss der zufälligen und fruchtbaren Zusammenarbeit mit Ivan Theimer, ein Bildhauer, der das Klassische nicht ablehnt, sondern im Gegenteil “ das Alte in anziehendes Neues verwandelt “ (Giorgio Soavi ).
Im Mittelpunkt des ansprechenden und gut lesbaren plastichen Versuchs von Lustig steht immer der Mensch, als Zeuge der ruhelosen Abläufe des Universums; er ist das Verbindungsglied von Lustigs Entwicklungsgangs, der vom ersten Moment an von einer ergiebigen unaussprechbaren schöpferischen Kontinuität charakterisiert ist. Und wirklich, bis zum heutigen Tag gibt es kein Stehenbleiben, täglich wird die Arbeit mit erneuter Kraft angegriffen; sie ist stets auf einen individuellen Ausdruck gespannt in einer geschlossenen Synthese der Begegnung des Klassischen mit dem Modernen, ausgeführt in den Materialien, die von Mal zu Mal vom Künstler angewendet werden. Er erforscht und erkennt immer mehr ihre Eigenart, und aus dieser lohnenden und konstruktiven Auseinandersetzung mit der Materie entstehen köstliche Figuren – Werke, aus denen das Gleichgewicht zwischen Flächen und Tiefen, zwischen Hell und Dunkel, Form und Materie erkenntlich hervorgeht. Der Bildhauer zieht es vor, die Wahrheit seiner Figuren festzuhalten, gereinigt von allen rauhen und willkürlichen Ausdrucksformen, die sie von ihrer Natürlichkeit entfernen. So erreicht er zum Beispiel bedeutende Höhepunkte bei der Madonna col Bambino (Mutter mit dem Kind); sie ist leicht nach vorn gebeugt in der Geste des Entgegenschreitens. Aber Lustig interessiert nicht so sehr die Handlung als der durchsichtige Liebreiz unvergänglicher Emotion. Beim Anschauen dieser und anderer Arbeiten ist man daher gezwungen, nicht allein auf die erspriesslichen äusserlichen Einzelheiten achtzugeben, sondern aufgefordert, die reizvolle Spannung, die in ihnen wohnt, zu erkennen und zu schätzen; sie ist hervorgegangen aus einer völlig eigenen Sprache und verfolgt ohne scharfen Wechsel in klaren Zügen die Spur der Modernität und bleibt doch angelehnt am Nachsinnen antiker Vorbilder.
Wir stehen hier vor einem bedeutenden Angebot, dessen Analyse auch unsere eigene Sensibilität misst, uns der artistischen Berufung Leonardo Lustigs, die in seinen Werken voller Ideenfrische und künstlerischer Vitalität hervortritt mit Herz und Verstand zu nahen. Ferner, – die naturalistischen Anklänge, hervorgehoben in einigen beispielhaften Köpfen, widersprechen nicht der Milderung des beschreibenden Anteils, die einige Gruppen von Skulpturen, die sich durch eine schnellere Arbeitsweise und einen kontrolliert kräftigen Aufbau auszeichnet, bedeutend durchdringt. Es ist eines der Ziele des Bildhauers eine zuweilen intime , zuweilen auch dramatisierte Atmosphäre hervorzurufen, indem er die Ausdrucksmöglichkeiten und die Wirkungskraft der Materie – so handgreiflich in Werken von weicher und moderierter Stilisation – eingehend ausnützt. Solche Überlegungen kommen uns spontan, wenn wir die Skulptur des L’innocente (der Unschuldige) bewundern, eine Figur in patinierten Zement, von unrhetorischer Formvollendung und klassischer Betonung, die einen überzeugenden Höhepunkt in der naturalistischen Epoche von Lustig darstellt.
Das Thema des Heiligen inspiriert ihn ebenfalls und wird von ihm mit einem nicht leichten Verantwortungsbewusstsein angegriffen; der Künstler achtet darauf, die Massen, die im Licht ihren idealen und unersetzlichen Verbündeten haben, mit dem Raum zu verbinden.Das Geistige verkörpert sich in der Materie, die aussergewöhnliche und beruhigende Gefühle entstehen lässt, hervorgerufen von der Nähe des Absoluten. Das empfindet man angesichts der bedeutenden Arbeit des Il roveto ardente (Der brennende Dornbusch ) der von einer plastischen Kraft durchdrungen ist und von einer bewussten Öffnung zum Glauben beherrscht wird. Er steht in der Kirche S. Antonio in Sestri Levante.
Der Bildhauer erteilt der Materie oder besser den Materien die Aufgabe leichte, fliessende aus durchdachten Kompositionsweisen geborene Harmonien aufzuzeigen, die darauf ausgerichtet sind, die Inhalte der christlichen Sendung und die Wahrheit der Schöpfung zu bestätigen.Die Arbeitsweise Leonardo Lustigs gliedert sich in die Sphäre einer kontrollierten Bildlichkeit ein, die sich von aller Schwulst abwendet, um gekonnte plastische Lösungen zu bevorzugen. Dieses Ziel bewegt jeden Schritt auf den noch frischen arbeitsamen Weg des Künstlers, der beim patinierten Zement (Fanciulla in riposo – ruhendes Mädchen, Figura – Figur , Modello per concentrazione – Model für Konzentration , Pescatorello – kleiner Fischer , Abramo – Abraham ), in Marmor (Prigione – Gefangener, Concentrazione – Konzentration , In ascolto – im Hören ), in Stein (Figura – Figur, Fanciullo – Knabe ), in Bronze ( Ballerina – Tänzerin , Fanciulla – Mädchen , Il giocatore di scacchi- der Schach-Spieler , Lettore – der Leser, Madonna della guardia – schützende Mutter) in gebranntem Ton ( Bustino – kleine Büste , Ritratto – Porträt , Madonna col Bambino – Mutter mit dem Kind) eine kräftige und einheitliche Linie entwickelt, die dazu angetan ist, die Form mit dem vorgestellten Gegenstand zu verbinden.
Ich bin überzeugt, dass jeder Künstler eine Spur seines Wesens hinterlässt und seine Werke daher bedeutende autobiographische Merkmale tragen; mittels der Motive, aus denen sie hervorgegangen sind, verbergen sie Zweifel, Fragen, Momente der Reue, inneres Aufbegehren und hintergründige Gefühle. Sie begleiten das Leben ihres Schöpfers, der seine Vaterschaft niemals verleugnen wird. Die Bildhauerkunst ist eine lebendige Sprache (aber das wusste auch Arturo Martini, weil er sie in seiner fundierten Selbstkritik so wollte), die die Zeit nicht angreift; sie ist fähig innere Erregungen und existenzielle Nöte zu vermitteln, indem sie ohne lehrhafte Töne die soziale Bedeutung der künstlerischen Berufung bestätigt und sich verwirklicht in der begeisternden schöpferischen Arbeit. Der Mensch, der in diesen ungewissen Zeiten aufgerufen ist, Förderer eines neuen Humanismus zu sein, errät in der Kunst den Schlüssel, der Welt Schönheit zu schenken und mit der Schönheit Freude und Bewunderung. Leonardo Lustig mit seiner leidenschaftlichen Arbeit, die von Schönheit spricht, von sozialen und geistigen Werten, ist beteiligt an diesem Prozess, der soviel Gutes hervorruft, ganz besonders für den Menschen, der fähig ist zu staunen gegenüber der Arbeitsamkeit “ der genialen Schönheitswirker “.
La Spezia, November 2005.
Valerio P.Cremolini